Der butterbrotschmierer

STADTMENSCH Harald Burger ist Uhrmacher. Nach Feierabend dreht er Filme über Menschen, die sich Lebensträume verwirklichen.

Er habe wenig Zeit, sagt der Mann, der ohne Zeit nicht leben kann. Kundschaft wartet im Geschäft, Auftragsformulare müssen ausgefüllt werden, eine reparierte Uhr ist aus dem Tresor zu holen. Das Handy läutet, dann der Festnetzapparat. Harald Burger hält sich die Telefonhörer nacheinander an sein linkes Ohr. Einem der beiden Anrufer antwortet Burger, er rufe gleich zurück. Er weiß später nicht mehr, wem er es gesagt hat. Die Nachmittagsjause bleibt unberührt: Der Kaffee wird kalt, der Krapfen, an der Oberseite eingeschnitten und mit Puddingcreme gefüllt, leidet sichtlich unter der Raumtemperatur.

Burger könnte sich entspannt an seine Werkbank setzen, eine defekte Uhr zur Hand nehmen, sich bis in die Eingeweide des Zeitmessers vorarbeiten, so gleichsam die Zeit anhalten. Burger ist Uhrmacher, und das seit dreißig Jahren. Er ist in seiner Disziplin ein Kenner, er kann so gut wie jedes Edelstück, jedes Billigklump reparieren. Er hat aber keine Zeit. Harald Burger ist damit beschäftigt, einen seiner Träume zu verwirklichen. Um 18 Uhr muss alles erledigt sein. Nach Geschäftsschluss beginnt sein zweites Leben.

Burger, 53, entstammt einem seit Generationen im Grätzel rund um den Fünfhauser Schwendermarkt ansässigen Feinmechanikerklan. Urgroßvater, Großvater, Vater: alle Uhrmacher mit Hang zur Kleinkunst. „Der Opa hat sich als Schrammelmusiker versucht“, sagt der gegenwärtige Chef des Familienunternehmens. „Die Ohren hat man sich bisweilen zuhalten müssen. Ein Fanatiker!“ Burger selbst absolvierte seine Ausbildung zu einer Zeit, als Stimmgabeluhren, Vorläufer der Quarzmodelle, in Mode waren. Drei Jahrzehnte führte er eine solide Uhrmachermeisterexistenz; er baute ein Haus und gründete eine Familie. Noch in Ausbildung, hatte er im Hof einer Kirche mit interessierten Kollegen einen Film gedreht, eine etwas größenwahnsinnige Sisyphos-Adaption. Im Lauf der Jahre wurde Burger dann gleichsam zum Hauptdarsteller eines nie realisierten Lichtbildprojekts: Ein Uhrmacher sitzt in diesem Kopfkinofilm in seinem Geschäft, rund um ihn ticken unerbittlich die Uhren, und er sehnt sich nach der Vergangenheit, ins Jahr 1976 zurück, als die Arbeit über den mythologischen Steinroller entstanden war.

Seit einiger Zeit lässt sich Burger nun die Haare wachsen, er hat ein Faible für extravagante Brillenmode entwickelt, er trägt Hemden in schreienden Farben. Und er ist Filmemacher nach Feierabend. Beim Wiener Community-TV-Sender Okto gestaltet der Zeitmessexperte in fixer Teamarbeit regelmäßig Porträts von Menschen, die ihre Lebensträume verwirklichen.

Butterbrot“ nennt sich das Sendungsteam, dem Burger angehört. Das erste von den hochherzigen Laufbildamateuren gefertigte Porträt war dem ehemaligen Grafiker und jetzigen Maler Richard Jurtitsch gewidmet; „Butterbrot 2“ rückte drei Bassisten in den Mittelpunkt, die mit Vorliebe auf Berggipfeln musizieren. Zu sehen war auch eine Folge über die Sängerin Sandra Rose, die einst von Paris nach Wien floh, Hansi Hinterseer im Hintergrundchor stimmlich unterstützte und seit zwei Jahren Sandras Salon organisiert, den ersten Jazzclub in der Leopoldstadt. Die nächste „Butterbrot“-Sendung wird, läuft alles nach Plan, am ersten Montag im Dezember auf Okto zu sehen sein: Ein lyrisch veranlagter Schlagzeuger, dessen jüngste CD „Suizid in Wien“ betitelt ist, gibt sich darin dem Zusammenspiel von Poesie und Perkussion hin.

Normalität und Narretei. Alltag und Aussteigerfantasie. Im Kopf hat Harald Burger diese ohnehin nur vordergründig getrennten Sphären schon oft zusammengebracht, ineinandergeschraubt. Jetzt stürzt er sich in Arbeit, er führt zwei Leben in einem. „Der Film über mich“, sagt er, breites Grinsen im Gesicht, „müsste wohl, Die Metamorphose des Harald B.‘ heißen.“

Infos: okto.tv/butterbrot